Das Werden der Steiermark
Digitales Storytelling oder Geschichte(n) erzählen mit Karten.

Geschichte vollzieht sich immer im Raum, gerade deshalb sind Karten, mit der Möglichkeit der Darstellung von geo-räumlichen Gegebenheiten, für das Verständnis von historischen Zusammenhängen unverzichtbar. Das macht sie zu wertvollen Dokumentations-, Forschungs- und Bildungsmitteln für die Geschichtswissenschaft aber nicht zuletzt auch für den Geschichts- und Geographieunterricht.  Mit dem Kartenprojekt „Das Werden der Steiermark erzählt mit Karten“ präsentiert der Schulatlas Steiermark eine neue Kartenserie und verfolgt damit das Ziel die Territorialgeschichte Österreichs mit steirischem Fokus zu vermitteln.

Geschichte und Geschichten

Das Erzählen von Geschichten, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu holen und zu halten, ist als solches keine neue Methode, sondern stellt kulturgeschichtlich betrachtet eine uralte, tief in der Gesellschaft verwurzelte Form der narrativen Wissensvermittlung dar. Neu hingegen ist ein Trend, dass diese Methode zunehmend in den Medien festzustellen ist und dort neudeutsch als „digitales Storytelling“ bezeichnet wird. Durch einen Mix aus Text, Video, Audio, Grafik, Animation und anderen Elementen werden unterschiedliche Sinne angesprochen. Gerade bei komplexen, vermeintlich trockenen Themen kann multimediales Storytelling so oft der Schlüssel dafür sein um Emotionalität zu schaffen.  Karten können dabei besonders hilfreich sein, denn sie sind ebenso Ergebnis einer uralten Kulturtechnik: dem Zeichnen und Malen – nur eben in moderner und digitaler Form (Sturm 2013).

Vor diesem Hintergrund entstand in Zusammenarbeit mit dem Initiator Dieter Pirker vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung und dem Historiker Andreas Kutz das vorliegende Pilotprojekt, mit dem Ziel die steirische Landeswerdung mit neuen Ansätzen in der Umsetzung wiederzugeben. Das Ergebnis sind nutzergerechte, für die Zielgruppe  gestaltete Geschichtskarten, mit textlichen Erläuterungen und bildhaften Ergänzungen, adaptiert für das Ausgabemedium Bildschirm. Der erste Teil der Serie umfasst eine Zeitspanne des Hochmittelalters von knapp 150 Jahren. Er beginnt mit der Zeit um 900, mit dem Auftauchen der Magyaren im Gebiet der heutigen Steiermark und endet mit dem Aufstieg und dem einsetzenden Niedergang des Adelsgeschlechts der  Eppensteiner  im Jahr 1035. Die Eppensteiner stellten einige Kärntner Herzöge und die Markgrafen der Mark an der Mur und waren von großer Bedeutung für die Frühphase der steirischen Geschichte.

Als ein Vorbild für die Umsetzung diente dabei die TV-Sendereihe „Mit offenen Karten“ (http://ddc.arte.tv/de) des deutsch-französichen Kultursenders Arte. Wöchentlich werden hier historische, geo­politische oder wirtschaftliche Sachverhalte nur anhand von Karten dargestellt und vom Moderator, dem Anthropologen und Politikwissenschafter Jean-Christophe Victor, erörtert. Eine etwa 15-minütige Sendung behandelt meist einschlägige und aktuelle Themen, gelegentlich aber auch Zusammenhänge, die am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit liegen. Mit bemerkenswert gut gestalteten Geschichtskarten und verständlichen Erläuterungen gehören sie eigentlich zum geographischen „Pflichtprogramm“ (Abb. 1).

Abb. 1: Jean-Christophe Victor in „Mit offenen Karten“. In der Folge das „Das Österreichische Paradox“ versucht er die Gründe für die ablehnende Haltung der ÖsterreicherInnen gegenüber der EU zu erklären.

Abb. 1: Jean-Christophe Victor in „Mit offenen Karten“. In der Folge das „Das Österreichische Paradox“ versucht er die Gründe für die ablehnende Haltung der ÖsterreicherInnen gegenüber der EU zu erklären.

Kartographische Hürden und Besonderheiten

Geschichtskarten und/oder historische Karten? Zumindest in der deutschen Sprache herrscht in der Literatur nicht immer Einigkeit über die Begrifflichkeiten. Während in der Fachliteratur  häufig und korrekt von „Geschichtskarten“ die Rede ist, ist der Begriff „historische Karte“ nicht eindeutig konnotiert, da dieser auch eine alte Karte bezeichnen kann (Stams 2002b).

Kartographische Ausdrucksformen sind grundsätzlich geeignet, Aussagen für einen bestimmen Zeitpunkt zu geben, die Darstellung einer Genese stellt hingegen eine größere Herausforderung dar. „So wie die textliche Darstellung nicht sonderlich geeignet ist, das räumliche Nebeneinander wiederzugeben, weil Worte in zeitlicher Aufeinanderfolge gelesen werden, so ist die kartographische Methode weniger geeignet, die an einen Zeitablauf gebundene Genese zu veranschaulichen, da die grafischen Elemente gleichzeitig überschaubar nebeneinander liegen.“ (Arnberger, 1987).

Um Entwicklungsprozesse einigermaßen adäquat darzustellen, bestehen im allgemeinen drei Möglichkeiten:

Kartographische Animation

Nur die kartographische Animation ermöglicht eine dynamische Darstellung und unmittelbare Wahrnehmung von Entwicklung und Bewegung, diese ist allerdinges nur am Bildschirm und mit Hilfe geeigneter Verfahren möglich.

Handelt es sich um statische, häufig analoge Darstellungen so bedient man sich der Entwicklungsdarstellung, die wiederum auf zwei Arten erfolgen kann:

Kartengegenüberstellung

Die Entwicklung eines Raumes wird sequentiell in Phasen durch eine unterschiedliche Zahl von Karten wiedergegeben. Oft bieten diese Phasen auch wieder die Basis für eine Animation.

Mehrphasendarstellung

Hier werden die unterschiedlichen Entwicklungsphasen als Zeitpunktfolge in einem  einzigen Kartenbild veranschaulicht. Das Ergebnis dieser Methode ist ein meist mehr oder weniger komplexes Kartenbild, das aber auch einen größere kognitive Leistung der Nutzenden erfordert.

Besonders wichtig für jede thematische Karte ist eine geeignete topographische Grundlage. Diese hat möglichst genau dem Zeitpunkt der thematischen Aussage zu entsprechen, da sonst gewisse Kausalzusammenhänge unverständlich bleiben können oder im schlechtesten Fall sogar im Widerspruch zum thematischen Inhalt stehen. Für Geschichtskarten gilt das im Besonderen, denn historische Fluren und Siedlungen sind nur im Zusammenhang mit einer historischen Topographie verständlich. Ein Problem, vor dem die Geschichtskartographie steht, ist, dass diese insbesondere für großmaßstäbige Karten in den meisten Fällen nicht vorhanden ist. Erst seit den ersten systematischen und genauen Landesaufnahmen ab Mitte des 18. Jahrhunderts sind die notwendigen Grundlagen in einer gewissen Geschlossenheit vorhanden, für frühere Zeitabschnitte fehlen diese (Arnberger, 1987).

Die topographische Grundlage für das vorliegende Produkt bleibt deshalb, aber nicht nur deshalb, sehr reduziert. Die Basis bildet das Geländerelief und lediglich die im Grauton angedeutete Landesgrenze. Gemeinsam mit dem heutigen, leider reguliert dargestellten Gewässernetz mit den Hauptflüssen (Mur, Mürz, Enns, Raab) bilden sie die wichtigsten Orientierungsleitlinien in die Jetztzeit.

Bis auf eine Ausnahme stellt der Ausschnitt der heutigen Landesgrenzen die Basis für alle Kartendarstellungen dar. Die thematischen Karteninhalte sind nicht überladen und beziehen sich immer auf die rechtsseitige Erläuterung. Das Ergebnis ist eine analytische und überschaubare Darstellung.

Eine wichtige Vorgabe für das Projekt war die konsequente Erläuterung des Kartenbildes auf der gegenüberliegenden Seite, so sind Karte und Text ohne zu blättern auf einen Blick erfassbar. Das Verwenden von (Text-)Karten in geschichtlichen Abhandlungen scheint nicht weit verbreitet zu sein. Stams (2002a)  stellt dazu fest, dass „im Unterschied zu geographischen und geowissenschaftlichen Werken enthalten auch moderne Geschichtswerke bei oft hervorragender Bebilderung für Sachzeugen nur selten zum Verständnis notwendige Textkarten und/oder Kartenbeilagen; die wenigen vorhandenen weisen oft ein niedriges Niveau auf.“

Bezieht sich das Kartenthema auf  Grenzen und Verbreitungen vergangener und weit zurückliegender Epochen, so ist hier mit besonderer kartographischer Vorsicht zu arbeiten. Die Grenzen im Mittelalter sind nicht immer exakt zu definieren; oft spricht man überhaupt nur von Einflussbereichen. Die Verwendung von Grenzlinien ist daher zu vermeiden, denn sie führen zu falschen Vorstellungen und täuschen eine Genauigkeit vor, die so gar nicht existierte. Deshalb wurde auch in diesem Projekt auf Grenzlinien so gut es ging verzichtet, stattdessen verlaufende Flächenfarben, die optisch einen Grenzsaum bewirken, angewendet. Eine aussagekräftige Legende bzw. die Zeichenerklärung ist in das Kartenbild integriert.

Technisches und Konzeptionelles

Das Ergebnis sind durchwegs Bildschirmkarten, also für diverse Displays konzipierte Darstellungen. Das erfordert insbesondere ein Nichtunterschreiten von Mindestgrößen der grafischen und textlichen Elemente. Auch das quadratische Grundformat der Einzelseiten und das sich damit ergebende Querformat der Doppelseite, wurde gewählt, um den gängigen Displayproportionen gerecht zu werden.

Abb. 2: „Das Werden der Steier­mark“. Auf sieben erläuterten Karten wird eine frühe Phase der der steirischen Geschichte präsentiert. Die Buchmetapher wird durch einen simulierten Blättereffekt erreicht.

Abb. 2: „Das Werden der Steier­mark“. Auf sieben erläuterten Karten wird eine frühe Phase der der steirischen Geschichte präsentiert. Die Buchmetapher wird durch einen simulierten Blättereffekt erreicht.

Eine durchgehende Zeitleiste am unteren Rand beinhaltet wichtige Ereignisse der mitteleuropäischen Geschichte und ermöglicht damit die Einordnung der in der Karte dargestellten Geschehnisse in einen größeren historischen Zusammenhang. Untermalt werden die Inhalte durch Abbildungen.

Das Ergebnis sollte als Buch wahrgenommen werden. Um diese Buchmetapher zu erreichen, wurde ein 3D-Blättereffekt integriert, der die Seitenübergänge animiert erscheinen lässt. Die technische Umsetzung ist an und für sich nicht schwierig und erfordert keine Programmierkenntnisse. Verwendet wird das Webservice page2flip (http://page2flip.de), das  auf  eine effektvolle Wiedergabe von Zeitschriften spezialisiert ist. Dabei müssen lediglich die einzelnen zuvor gestalteten PDF-Seiten in die Cloud-Umgebung upgeloadet werden, die weitere Verarbeitung und Darstellung übernimmt page2flip. Der Dienst setzt auf den neuen HTML5-Standard, der es ermöglicht Animationen auch ohne die nicht mehr zukunftsfähige Adobe-Flash-Technologie zu schaffen. Er funktioniert also auch auf dem iOS-Betriebssystem (Betriebssystem für mobile Geräte von Apple). Automatisch integriert sind unterschiedliche Darstellungsweisen sowie Zoom- und Druckfunktionen. Die Nutzung dieses Dienstes ist nicht kostenlos und kann je nach Auswahl eines Pakets mit jeweils unterschiedlichen Features zwischen 0,50 und 1,50 € pro Seite ausmachen.

Der erste Teil der Serie ist seit 2013 online und ist auf der Website des Schulatlas Steiermark zu betrachten. Eine weitere Folge ist schon in Arbeit. Sie erfasst die territorialen Ereignisse zwischen 1035 und 1192 und soll im Laufe des Wintersemesters (2014/15) erscheinen. Die geplante Weiterentwicklung dieses Projekts ist die Bereitstellung der Karten als animierte Videos, die mit Sprechtext untermalt sind.


Literatur

Arnberger E. (1987): Thematische Kartographie. Mit einer Kurzeinführung über EDV-Unterstützte Kartographie und Quellen der Fernerkundung. Das Geographische Seminar. Braunschweig.

Stams W. (2002a): Geschichtskartographie, in: Bollmann J.,  Koch G (Hg.), Lexikon der Kartographie und Geomatik: in zwei Bänden.  Bd. 1. Heidelberg – Berlin.

Stams W. (2002b): Historische Karte, in: Bollmann J.,  Koch G (Hg.), Lexikon der Kartographie und Geomatik: in zwei Bänden.  Bd. 1. Heidelberg – Berlin.

Sturm S. (2013): Digitales Storytelling. Springer, New York.


Autor: Mag. Daniel Blazej, M.A.

Diesen Beitrag gibt es auch am Open Access Publikationsserver der Universität Graz unter

http://unipub.uni-graz.at/geograz/periodical/pageview/242037